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4. Sprache

Die Grammatik ist auto­nom und keiner Wirklichkeit verant­wort­lich.”
FRIEDRICH WAISMANN

Das Verstaendnis des Phaenomens Sprache ist entschei­dend fuer das Verstaendnis der Wirklichkeit. Das Verhaeltnis des Begriffs zur sinn­li­chen Anschauung ist dabei das Koenigsproblem des Denkens. Aufbau der Wirklichkeit aus festen Elementen ist Bedingung fuer ihre Beschreibbarkeit. Waere es anders — wuer­den sich also in den Tatsachen keine konstan­ten, immer wieder­keh­ren­den Elemente finden lassen — wuerde die Moeglichkeit des Ausdrueckens und Beschreibens aufhoe­ren. In der Abstraktion haben wir aber ein Prinzip, das wir auf viele Vorgaenge anwen­den koen­nen, ohne fuer jeden Vorgang eine eigene Methode bereit­stel­len zu mues­sen. Sprache und Logik sind im Grunde nichts ande­res, als denk­oeko­no­mi­sche Prinzipien. Jeder sprach­li­che Ausdruck ist eine Generalisierung, deren Zweck es ist, fuer moeg­lichst viele Dinge zuzutreffen.

Das Prinzip der Abstraktion ist die Analogie. Jedes Wort ist in jeder Bedeutung durch die Beobachtung von Aehnlichkeiten entstan­den. Verallgemeinern heisst struk­tu­rie­ren, um zu ordnen. In der gewoehn­li­chen Auffassung wird stets das Bekannte auf das Unbekannte ueber­tra­gen, damit es sich in die Reihe der gewohn­ten Ueberlegungen einrei­hen laesst. Wir geben sich haeu­fig wieder­ho­len­den Situationen den glei­chen Namen, um das Geschehen zu verein­fa­chen und zu verein­heit­li­chen. Wer ordnet, fuegt aehn­li­ches zu aehn­li­chem. Die Abstraktion ist deshalb das Ordnungsprinzip schlecht­hin. Alles Denken ist im Prinzip nichts, als die Verbindung von Namen durch das Woertchen ist. Das Pferd ist ein Saeugetier. Dieses ist ist im Grunde gleich­be­deu­tend mit dem mathe­ma­ti­schen = Zeichen. Wir nennen verschie­dene Dinge einfach deshalb beim selben Namen, weil diese Dinge einan­der aehn­lich sind; es ist nichts Identisches in ihnen vorhan­den. Eine Moeglichkeit reine Entitaeten zu iden­ti­fi­zie­ren gibt es nicht.

Die Kategorie ist die Form, der sich die Empfindung fuegt, die aber selbst nicht direkt aus der Empfindung kommt. Keine unse­rer Vorstellungen geht unmit­tel­bar auf den Gegenstand. Jede Vorstellung ist vermit­telt. Den geheim­nis­vol­len Vorgang, bei dem eine Empfindung zum Wort wird, nennen wir Abstraktion. Was aber durch Abstrahierung passiert, ist nicht etwa exakte Beschreibung, sondern allen­falls das Weglassen unwe­sent­li­cher Merkmale und eine Beschraenkung auf rele­vante Kriterien. Kategorien sind die Formen des Verstandes und Hilfsvorstellungen, durch welche sich das Denken sein Geschaeft, d.h. die Berechnung der Wirklichkeit erleich­tert. Wer denkt und spricht, objek­ti­viert seine Empfindungen, d.h. er verall­ge­mei­nert sie soweit, bis sie verstan­den werden koennen.

Ohne Allgemeines ist eine Vermittlung des Individuellen nicht denk­bar. Wer Begriffe gebraucht, fasst eine grosse Anzahl augen­schein­lich ueber­ein­stim­men­der Dinge in die glei­che Form, um sie beque­mer grei­fen zu koen­nen. Einmal gemachte Empfindungen werden als Verallgemeinerungen regis­triert und abge­stellt, damit sie jeder­zeit auf Abruf verfueg­bar sind. Mittels Abstraktion wird versucht, das eigent­lich Gewesene mit dem wesent­lich Gewesenen zur Deckung zu brin­gen. Alle Abstraktion besteht im blos­sen wegden­ken. Abstraktion heisst “Abziehung”. Keine Sprache drueckt Sachen aus, sondern nur Namen; auch keine mensch­li­che Vernunft also erkennt Sachen, sondern sie hat nur Merkmale von ihnen, die sie mit Worten bezeichnet.(1)

Der Definitionsprozess ist die Festsetzung gene­rel­ler Merkmale, der Gegenstand das defi­ni­tum. Der defi­nierte Begriff ist aber etwas, das ausschliess­lich in unse­ren Koepfen exis­tiert. Jedes Ding, das wir fest­stel­len, ist nur ein ersehn­ter Ruhepunkt fuer unser Denken. Die Unruhe wird Ordnung, eben dadurch, dass sie Gegenstand wird.(2)Aus Unbestimmtem wird Berechenbares. Denn wo keine Gestalt, da ist auch keine Ordnung.(3) Ordnen wollen wir die Natur, um in ihr nicht unter­zu­ge­hen; aber Ordnung ist nicht wirk­lich, Ordnung ist eine Sehnsucht der mensch­li­chen Sprache.(4) Jede Ordnung ist kate­go­rial. Alle Abstraktionen sind Prototypen, die einer logi­schen Ordnung dienen. In der Wirklichkeit selbst gibt es keine Abstraktionen wie die der Sprache. Individuelle Lebendigkeit gehorcht nicht dem toten Begriff. Jede Ordnung ist eine Ordnung zu einem bestimm­ten Zweck.
“Ordnung ist eine Konstellation von Zeichen. Es gibt (aber) keine Ordnung schlecht­hin, sondern nur eine Vielfalt neben­ein­an­der bestehen­der Zweckkonstellationen, die alle auf letzt­lich unbe­weis­bare und unwi­der­leg­bare Prinzipien gruen­den, die ihre eige­nen Deutungen erfordern.”(5)
Es gibt nicht die Ordnung ansich, sondern viele Ordnungen. Gerade deshalb, weil ein Zeichen belie­big ist, gibt es fuer dasselbe kein ande­res Gesetz, als das der ueber­lie­fe­rung und Vereinbarung. Allgemeinbegriffe sind allge­meine Prinzipien, nuetz­lich zum Ausrechnen der Welt, nichts weiter. Sie sind bequem, alles, was wir beob­ach­ten, laesst sich subsumieren.Die Wortwahrheit macht aus den Worten einen genauen Ersatz fuer die Wirklichkeit. Dies ist eine sehr grosse Annehmlichkeit.(6)Im Wort ist das Gefuehl zu einer Struktur erstarrt, die ueber den Moment hinaus­reicht. Die zeit­lich verflies­sende Wirklichkeit wird ange­hal­ten und konser­viert. Die Bestaendigkeit der Sprache besteht darin, dass sie im Grunde von der Gegenwart unab­haen­gig ist. Diese Zweckmaessigkeit ist das Geheimnis der Buchstabenkombinationen. Der hiatus irra­tio­na­lis zwischen Begriff und Wirklichkeit aber laesst sich nie voel­lig aufloe­sen. Begriffe sind blosse Kopien unse­rer Impressionen. Alles Wissen ist gegen­staend­lich und wird es immer blei­ben. Das Denken geht linear vor, aber die Wirklichkeit nicht. Jede kuenst­li­che Vereinheitlichung bedeu­tet deshalb eine Entfremdung von der wirk­li­chen Existenz. Abstraktion ist nur Fiktion.(7)

Die Abstraktion ist ein kuenst­lich geschaf­fe­ner Einteilungsbegriff, der den Wissenschaftlern als denk­tech­ni­sches Mittel dient, um Empfindungen unter Dach und Fach zu brin­gen. Jeder Begriff ist gleich­be­deu­tend mit einer ganzen Reihe entspre­chen­der Operationen. In der Abstraktion werden die kompli­zier­tes­ten Beziehungen abge­kuerzt durch ein Wort ausge­drueckt; ganze Saetze werden in einem Wort zusam­men­ge­fasst. Die Fingerbewegungen beim Stricken z.B. sind zu kompli­ziert, als dass wir sie ohne das Zweckwort stri­cken auffas­sen koenn­ten. Die Beschreibung wuerde letzt­lich in einem so und so, in einem Zeigen enden. Und Ideen koen­nen einfach und komplex sein. Die Idee weiss z.B. ist einfa­cher Natur und nicht weiter rueck­fuehr­bar. Die Idee Schwan dage­gen enthaelt mehrere Bestandteile: weisse Farbe, langer Hals, schwarze Fuesse etc. Die Idee Schwan ist eine zusam­men­ge­setzte, komplexe. Begriffe wie Sarg oder Gras reprae­sen­tie­ren eine Fuelle von Merkmalen wie Groesse, Haerte, Schwere Oberflaechenbeschaffenheit oder Zweckdienlichkeit etc.

Woerter sind deshalb genau­ge­nom­men ganze Theorien, die sehr kompli­zierte Zusammenhaenge auf einen Nenner brin­gen. Frege nannte einmal den Satz einen zusam­men­ge­setz­ten Namen.
“Nicht nur Ausdruecke wie Gerechtigkeit und ausglei­chende Gerechtigkeit sind Namen, sondern auch so ein komple­xer Ausdruck wie Die Moeglichkeit einer Definition des Kunstwerks durch verschie­den­ar­tige Beispiele und deren nach­traeg­li­che Kennzeichnung ist ein Name.”(8)
Alle Begriffe sind im Grunde theo­re­ti­sche Begriffe. Ganze Theorien verste­cken sich hinter einem Wort. Unsere Sprache ist von Theorien foerm­lich durch­setzt. Wille, Gefuehl, Verstand, Phantasie — alles blosse Sammelnamen. Wir koenn­ten genauso von der Theorie des Willens, der Theorie des Gefuehls, der Theorie vom Verstand etc. sprechen.

Wir lernen die Sprache im prak­ti­schen Gebrauch. Keine Sprache kann logisch erlernt werden, weil sie nicht logisch ist. Erlernt wird immer nur der Sprachgebrauch. Die Sprache ist ein Verbrauchsgut und eine Ware, wobei der Produzent gleich­zei­tig auch der Konsument ist. Sprechen ist der Tausch von Woertern. Alle Abstraktionen haben, ihrer Abstraktionsstufe entspre­chend, so etwas wie einen Kurswert.
“So ist unsere Sprache aufge­baut: Der Stein ist hart. usw. Und diese Redeweise ist gut genug fuer den Marktplatz. Das ist eine neue Sorte. Die Kartoffeln sind verfault. Die Eier sind frisch.(9)
Die Alltagssprache ist im geoehn­li­chen Umgang so nuetz­lich, weil viele moeg­li­che Unterscheidungen aus unmit­tel­bar prak­ti­schen Gruenden nicht getrof­fen werden. Ein hoher Differenzierungsgrad braechte auch einen unnoe­tig hohen Grad an Entscheidungskriterien mit. Im Alltag spre­chen wir deshalb schon vom selben Ding, wenn sich seine Eigenschaften nur in weni­gen Punkten glei­chen. Hieraus erge­ben sich dann die Irrtuemer, die von BACON Trugbilder des Marktes (idola fori) genannt wurden.

Jede symbo­li­sche Sinnwelt ist poten­ti­ell proble­ma­tisch. In der Sprache herrscht immer Mehrdeutigkeit. Gerade die Sprache oder die Sprachglaeubigkeit verhin­dert es, dass wir auf tiefer liegende Probleme aufmerk­sam werden. Wo verschie­dene Dinge in einen Topf gewor­fen werden, entste­hen aus Scheinbegriffen dann Scheinprobleme. Eine Verwirrung der logi­schen Typen geschieht gerade durch die Verwechslung des Individuums mit der Klasse. Die Aussage ueber ein Individuum und eine Aussage ueber eine Klasse gehoe­ren zwei verschie­de­nen logi­schen Typen an. Ohne eine solche Unterscheidung wird nur Unsinn produ­ziert. Problembewusstsein ist eigent­lich ein Bewusstsein ueber die Abstraktionsgrade des Denkens. Zu weit gefasste Verallgemeinerung der Realitaeten schafft eigent­lich immer mehr Probleme, als sie loest. Die Leute verwech­seln, wie das Sprichwort weiss, Fisch und Fahrrad. Beides faengt mit F an, hat aber nichts mitein­an­der zu tun.

Jedes Problem wird über Abstrahierung gestellt. Irrtuemer und Missverstaendnisse entste­hen, weil zwei Menschen Begriffe gebrau­chen, als haet­ten sie eine gemein­same Bedeutung, jeder sich aber unter einem Begriff etwas ande­res vorstellt. Jede Abstraktion ist ein Denkgebilde, das unter den Bedingungen einer gewoll­ten Wirkung steht. Ob ein Ding oder eine Sache einem gemein­sa­men Oberbegriff unter­ge­ord­net werden kann, ist ein geis­ti­ges Urteil und beruth auf Zweckmaessigkeit. Wir beur­tei­len alles in Hinblick auf einen bestimm­ten Zweck und nicht ansich. Die Verwendung fuer einen bestimm­ten Begriff macht einen Begriff fuer uns bedeu­tend. Das Wort ist Form. Nur die Form ist allge­mein, die Bedeutung dage­gen ist indi­vi­du­ell verschie­den. Begriffe ansich zu verwen­den, um damit die Objektivitaet der Tatsachen zu begruen­den, kann sozu­sa­gen als Hauptmerkmal ideo­lo­gi­scher Manipulation betrach­tet werden.

Wer an die Identitaet von Wort und Sache glaubt, gebraucht die Worte ansich. Mit Begriffen oder neuen Definitionen werden Probleme aber nur schein­bar geloest. Das groesste Problem ist immer, dass wir uns das falsche Problem stel­len. Es ist ein naiver Trugschluss, Wort und Sache gleich­zu­set­zen. Jede objek­tive Loesung ist ein Irrtum auf Raten. Es ist immer nur eine Frage der Zeit, bis unvor­her­ge­se­hene Tatsachen unsere Vorstellungen einge­holt haben.

Zeichen erhal­ten ihre Bedeutung immer erst in der Beziehung, in der sie auftre­ten. Die Woerter sind sowohl Zeichen, wie Traeger von Bedeutung.(10) Die logisch-bedeutsame Unterscheidung zwischen dem Namen und der Sache wird dort nicht getrof­fen, wo die Idee, die einem Begriff zugrunde liegt, nicht vom Zeichen getrennt wird, das ihr entspre­chen soll. Das Bedeutende (Zeichen) und das Bedeutete (Inhalt) mues­sen aber logisch getrennt gehal­ten werden. Sinn und Wort sind immer zu unter­schei­den. Der Unterschied von Zeichen und Bedeutung ist der des Wortes zum Gemeinten. Das blosse Wort ansich ist im Grunde nichts­sa­gend. Die Postulierung von begriff­li­cher Allgemeinheit ist darum immer eine Taeuschung. Begriffe sind nur von ihrem Inhalt her sinn­voll, nicht von ihrer Form.

Die Konkretheit klas­si­fi­zie­ren­der Verallgemeinerungen ist eine bloss schein­bare. Es sind gerade die Begriffe, die uns am selbst­ver­staend­lichs­ten erschei­nen, welche uns den Weg zu tiefe­rer Erkenntnis versper­ren. Die unkri­ti­sche Verwendung der Sprache bringt uns oft dazu, Namen fuer gar nicht exis­tie­rende Gegenstaende zu erfin­den und diesen Gegenstaenden dann Realitaet zuzu­schrei­ben. Wir sind immer versucht, in der bloss gedank­li­chen Existenz eines Wortes zugleich einen wirk­li­chen Gegenstand zu sehen.
“Die meis­ten Menschen leiden an dieser geis­ti­gen Schwaeche, zu glau­ben, weil ein Wort da sei, muss es auch das Wort fuer etwas sein; weil ein Wort da sei, muss dem Worte etwas Wirkliches entsprechen.”(11)
Der fiktive Charakter der Abstraktion laesst die Wortgebilde als Wirkliches erschei­nen. Bloss weil es das Wort Materie gibt, muss es auch so etwas wie eine Materie geben. Das Substantiv versucht zum Suchen nach einer Substanz.(12)

Unter Wortrealismus kann die Neigung verstan­den werden, ueber­all dort, wo die Sprache fuer etwas einen eige­nen Namen hat, einen Wirklichkeitssachverhalt, bzw. ein reales Ding anzu­neh­men und das Wort fuer die Entsprechung dessel­ben zu halten.
“Man sucht krampf­haft nach einem Etwas, das das Wort bezeich­nen soll, man bevoel­kert die Welt mit aethe­ri­schen Wesen, den schat­ten­haf­ten Begleitern der Substantive. Typisch hier­fuer sind die Worte das Sein, die Seele, das Ich, etc.; aber auch Verba gehoe­ren hier­her, z.B. das Zeitwort exis­tie­ren, das eine Art schat­ten­hafte Taetigkeit zu bezeich­nen scheint, die sich an jedem Dinge finden soll.”(13)
Es ist der Irrtum der Realisten, Allgemeinbegriffe als Abbilder objek­ti­ver Wesenheiten aufzu­fas­sen, die eigent­lich bloss allge­meine Bezeichnungen sind, die auf mehrere Gegenstaende ange­wen­det werden. Allgemeingueltigkeit zu bean­spru­chen ist die Sache eines lexi­ka­li­schen Pseudo-Wissens. Konkrete Bedeutung gibt es nur in einem aktu­el­len Bezugssystem. Es gibt keine allgemeingueltig-objektive Bedeutung. Eine solche wird allen­falls dogma­tisch und auto­ri­taer durch­ge­setzt. Jede objek­tive Definition ist eine ratio­nale, abstrakte Konstruktion. Fuer die Bestimmung der Bedeutung eines Wortes dage­gen ist der leben­dige Zusammenhang in einer konkre­ten Situation ausschlag­ge­bend. Die konkrete Bedeutung eines Wortes ist stets situationsbedingt.

Die Wirkung, die ein Wort erzielt, ist abhaen­gig vom Interesse, das wir fuer einen bestimm­ten Sachverhalt hegen. Die wirk­li­che Bedeutung der Worte liegt in den Ideen, die hinter einem Begriff stecken und im Wert, den sie fuer unse­ren prak­ti­schen Gebrauch haben. Worte sind prak­ti­sche Erinnerungszeichen fuer Sinneseindruecke. Eine objek­tive Definition kann es nicht geben. Der Baum ansich ist farb­los, geruch­los, geschmack­los usw. Blosse Worte sind nichts Wirkliches. Worte sind Symbole und Symbole riechen nicht, laecheln nicht, bluten nicht, sie exis­tie­ren nicht. Alle Definitionen haben nur als Gebrauchsdefinitionen Bedeutung. Bedeutungen sind nichts abstrak­tes. Bedeutungen sind indi­vi­du­ell verschie­den und koen­nen nicht objek­tiv defi­niert werden.

In all unse­ren Beziehungen zu ande­ren Menschen und zu uns selbst, stehen die Erscheinungsformen unse­res Bewusstseins im Mittelpunkt: Denken, Fuehlen, Wollen. Der gemein­same Nenner dieser, nur in der Abstraktion getrenn­ten Zustaende ist das, wovon wir denken, dass es Wert besitzt, wovon wir fueh­len, dass es einen Wert hat und das wir wollen, weil es fuer uns wert­voll ist. Von unse­rer Urteilskraft ist es abhaen­gig, inwie­weit es uns gelingt, unser Wollen von unse­rem Denken, bzw. Fuehlen unter­schei­den zu koen­nen. Das bloss logi­sche und noch dazu auto­ma­ti­sierte Denken in vorge­form­ten und nicht hinter­frag­ten Begriffen, ist dazu nicht in der Lage. Alle Abstraktionen haben die Tendenz, uns ueber die Wirklichkeit zu taeu­schen. Wir sind immer geneigt, das abstrakte Rechnen mit Woertern schon fuer die Wirklichkeit zu halten. Abstraktionen sind aber immer problematisch.

Worte fangen staen­dig etwas ein, das eigent­lich viel komple­xer ist. Worte tren­nen staen­dig und beschrei­ben jeden Vorgang und jeden Gegenstand ansich und nicht exakt diesen Gegenstand hier an diesem Ort und jetzt zu diesem Zeitpunkt. Ansich sind die Dinge nur ueber­haupt vorhan­den. Abstraktionen sind ledig­lich Namen, die geeig­net sind, auf mehrere verschie­dene Gegenstaende ange­wen­det werden zu koen­nen. Sie tragen zur Erkenntnis der Wirklichkeit nichts wesent­li­ches bei. Das Wort ist das Symbol fuer die Idee, aber alle Symbole sind im Grunde will­kuer­lich und beru­hen auf ueber­ein­kunft. Wir koenn­ten fuer die Dinge auch andere Woerter als Bezeichnung benuet­zen. Wenn wir uns z.B. strei­ten oder wenn wir uns eini­gen, dann liegt das an den Ideen, die durch die Begriffe symbo­li­siert werden. Eine Idee ist das, was sie uns bedeu­tet. Was einem Menschen von Bedeutung ist, erfah­ren wir nur ueber ein Verstaendnis der ganzen Person, nicht durch eine Lexikon-Definition.

Jede geschaf­fene Analogiebildung ist kuenst­lich und nicht natur­ge­ge­ben. An die Objektivitaet der Dinge und Sprache glau­ben wir, aber dieser Glaube ist ein naiver Aberglaube. Was wir als Wirklichkeit sehen, ist im Grunde eine Illusion, wenn auch eine fuer prag­ma­ti­sche Zwecke nuetz­li­che und prak­ti­sche Illusion. Alle Verben sind eine Zusammenfassung unter mensch­li­che Zwecke. Was und wie etwas fuer uns exis­tiert, ist abhaen­gig davon, wie und warum wir etwas bezeich­nen. Es ist aber immer das Meinen, das einem Satz Sinn gibt und dieses Meinen ist etwas Seelisches, subjek­tiv. Die frag­wuer­dige Nuetzlichkeit abstrak­ter Begriffe liegt in ihrer psycho­lo­gi­schen Wirksamkeit. Die Lehre von der Analogie gehoert deshalb in die Psychologie und nicht in die Logik. Die Frage, welche Vorstellung jemand hat, wenn er ein Wort verwen­det, ist bewusst­seins­ab­haen­gig, d.h. subjektiv.

Jedes Ding und jeder Vorgang erhaelt seine Bedeutung durch seine Beziehung zu uns und unse­ren Interessen. Ausserhalb eines persoen­li­chen Zusammenhangs, in dem wir zu einem Begriff stehen, ist jedes Wort immer viel­deu­tig. Eine gute Definition ist situa­ti­ons­ge­treu, d.h. situa­ti­ons­be­zo­gen. Eine objek­tive, d.h. dogma­ti­sche Definition, schwebt im luft­lee­ren Raum und ist belie­big inter­pre­tier­bar, was ihr jedoch bei vielen unkri­ti­schen Menschen viel Popularitaet verschafft. Theorien beru­hen haupt­saech­lich auf der Technik, die gerade rele­van­ten Merkmale fuer die jewei­lige Denkschule zu verein­fa­chen oder zu igno­rie­ren. Viele soge­nann­ten Geheimnisse der Wissenschaft koenn­ten auf den unkri­ti­schen Gebrauch der Sprache zurueck­ge­fuehrt werden. “Das Hoechste waere zu begrei­fen, dass alles Faktische schon Theorie ist.”

Anmerkungen:
1. J.G. HERDER: Sprachphilosophie, Hamburg 1960, Seite 173
2. G.W.F. HEGEL in GEORG LUKÀCS: Der junge Hegel II Ffm 1973, Seite 506
3. AUGUSTINUS: Bekenntnisse, Muenchen 1982 Seite 388
4. FRITZ MAUTHNER: Beitraege zu einer Kritik der Sprache III, Ffm 1982, Seite 601
5. HARRY PROSS: Zwaenge, Berlin 1981, Seite 34
6. S.I. HAYAKAWA: Sprache im Denken und Handeln, Darmstadt 1984, Seite 278
7. JEAN-MARIE GUYAU in HANS PFEIL: Jean-Marie Guyau und die Philosophie des Lebens, Augsburg/Koeln/Wien 1928 Seite 45
8. RUDOLF FREUNDLICH in ERNST TOPITSCH (Hrsg): Probleme der Wissenschaftstheorie, Wien 1960, Seite 14
9. GREGORY BATESON: Geist und Natur, Ffm 1987, Seite 81
10. seman­tisch: auf den Inhalt bezo­gen semio­tisch: den Ausdruck betref­fend
11. FRITZ MAUTHNER: Beitraege zu einer Kritik der Sprache I, Ffm 1982, Seite 159
12. FRIEDRICH WAISMANN: Logik-Sprache-Philosophie, Stuttgart 1985, Seite 286
13. FRIEDRICH WAISMANN: Logik-Sprache-Philosophie, Stuttgart 1985, Seite 129
14. J.W. von GOETHE: Wilhelm Meisters Wanderjahre, ohne Jahr

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