Der Barkeeper in mir — Eine Reflexion über Lebensgestaltung
In den frühen Morgenstunden, wenn die Gedanken frei fließen können, ertappe ich mich oft dabei, über die Gestaltung meines Lebens nachzudenken. Über die Essenz dessen, was mich ausmacht, und wie ich meine Vorstellungen in die Realität umsetze.
In solchen Momenten der Reflexion erscheint vor meinem inneren Auge immer wieder das gleiche Bild: Ein Barkeeper bei seiner Arbeit. Nicht irgendein Barkeeper, sondern eine ganz bestimmte Erscheinung. Ein Mensch, der vollkommene Ruhe ausstrahlt, gekleidet in ein makelloses weißes Hemd, die Fliege perfekt gebunden – ein Sinnbild der Professionalität und inneren Balance.
Die Szene entfaltet sich wie ein Gemälde: Mit präzisen, achtsamen Bewegungen poliert er ein Glas, das Handtuch geschickt in den Händen führend. Jede Bewegung hat ihren Zweck, nichts geschieht zufällig. Der Raum um ihn herum ist ein Zeugnis seiner Achtsamkeit: Die Mahagoni-Theke glänzt im warmen Licht, das den Raum in eine einladende Atmosphäre taucht. Es ist ein Ort, der zum Verweilen einlädt, sei es an der Bar oder in einer der gemütlichen Nischen.
Warum ausgerechnet dieses Bild? Es hätte auch die geschäftige Atmosphäre einer Dorfkneipe sein können oder die ausgelassene Stimmung eines Bierwagens auf einem Festival. Doch es ist dieser ruhige, in sich gekehrte Mensch, der mich fasziniert. Ein Mensch, der die schwierige Balance meistert: stets wachsam zu sein und ein offenes Ohr zu haben, während er gleichzeitig eine professionelle Distanz wahrt.
Die Diskrepanz zwischen diesem Bild und meiner aktuellen Lebensrealität könnte kaum größer sein. Wo der Barkeeper Ruhe ausstrahlt, fühle ich mich oft gezwungen, laut zu werden, um gehört zu werden. Wo er Klarheit und Bestimmtheit verkörpert, taste ich mich noch unsicher voran, eine vage Idee im Kopf, aber ohne klare Richtung.
Vielleicht ist es genau diese Diskrepanz, die das Bild des Barkeepers für mich so bedeutsam macht. Er verkörpert meine Sehnsucht nach einem festen Standpunkt, nach der Gewissheit, wofür ich stehe und was mich wirklich begeistert. Eine Sehnsucht, die umso stärker wird, je weiter ich mich davon entfernt fühle.
Doch in dieser Reflexion liegt auch eine wichtige Erkenntnis: Die Antworten auf meine Fragen werde ich nicht im Außen finden. Kein noch so kluges Buch kann mir den Weg weisen, keine noch so weise Person kann mir die Entscheidungen abnehmen. Andere Menschen können Impulse geben, können Wegweiser sein, aber den Weg gehen muss ich selbst.
Der Barkeeper in meiner Vision hat seinen Platz gefunden. Er steht fest an seiner Theke, kennt seine Rolle, seine Stärken, seine Grenzen. Vielleicht liegt darin die wichtigste Lektion: Dass auch ich meinen Platz finden werde, wenn ich mir die Zeit nehme, in mich hineinzuhören, meine eigene innere Stimme zu finden und ihr zu folgen.
Die Kunst wird sein, dabei die gleiche Geduld und Achtsamkeit an den Tag zu legen, mit der der Barkeeper seine Gläser poliert – jeden Tag aufs Neue, mit Hingabe und dem Wissen, dass Perfektion ein Prozess ist, kein Ziel.
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