“Die Marktphänomene sind nicht gleichgewichtsbildend. Das Gleichgewicht eines sich selbst regelnden freien Marktes existiert nur in der Vorstellung von Verkaufsstrategen als idealtypische Norm.”
Seit unserer Kindheit sind wir Erläuterungen ökonomischer Prinzipien ausgesetzt. Der klassischen Theorie entsprechend liegt der Weg zum Glück auf dem Weg zum Reichtum. Freiheit und Wohlstand erscheinen als natürliche Voraussetzungen des individuellen Glücks. Für HERBERT SPENCER war Reichtum das unvermeidliche Resultat natürlicher Stärke und geistiger Fähigkeiten. Wer an den Segen des Industrialismus glaubte, hielt den Wohlstand für die solideste Grundlage des Weltfriedens. Reichtum ist ehrenhaft, denn er bedeutet Macht. Armut dagegen galt in der frühliberalistischen Theorie hauptsächlich als selbstverschuldet. Die Unvermeidlichkeit von Hunger, Krankheit und schwerer Arbeit zu postulieren, gehörte zum täglichen Geschäft derer, die aus den Leiden anderer Menschen ihren Profit schlugen.
Nach Gottes unerforschlichem Ratschluss hat es immer Arme und Reiche gegeben. Armut galt als gottgewollt und bot Gelegenheit zu guten Werken. Im Zeitalter der strengen sozialen Abstufung beneideten und bekämpften die unteren Schichten die oberen solange nicht, wie allgemein der Glaube an die Gottgewolltheit einer Scheidung der Menschen in arm und reich vorherrschte. Alle Ausgebeuteten wurden auf einen ausgleichenden Trost im Jenseits verwiesen. Die Diener der Kirche saßen an der Tafel der Reichen und predigten den Armen Unterwürfigkeit. Der Arme hat weit mehr Aussicht in den Himmel zu kommen, als der Reiche.
“Die Gesellschaft kann nicht ohne Ungleichheit des Besitzes bestehen, die Ungleichheit nicht ohne Religion. Wenn ein Mensch vor Hunger stirbt neben einem, der übersatt ist, könnte er sich unmöglich damit abfinden, gäbe es nicht eine Macht, die ihm sagt: Das ist Gottes Wille; hier auf Erden muß es Reiche und Arme geben, dort, in der Ewigkeit wird es anders sein.” 1)
“Nur wenn das Volk in Armut gehalten wird, bleibt es Gott Gehorsam”, war einer von CALVINs Lieblingssprüchen. Armut, Verbrechen und Krieg galten als unvermeidlich Bedingung und ein notwendiges Übel der Gesellschaftsordnung, gegen die zu revoltieren Wahnsinn wäre. Die Armut wurde aber auch zum einzigen Mittel gegen die Trägheit erklärt. Es gibt keinen besseren Antrieb zu produktivem Verhalten, als die ewige Drohung des Hungers.
Für die Nutznießer der wirtschaftlichen Ordnung war ein geradezu eine Lebensfrage, ob das Volk versimpelt wurde oder nicht. Die Armen sollten nicht einmal lesen und schreiben lernen, weil sie das nur auf dumme Gedanken bringt. Mit großer Spitzfindigkeit wurden und werden deshalb immer wieder Ideologien angepriesen, welche die Vorrechte einzelner Gruppen bewahren sollen. Ökonomische Herrschaft wird z.B. mit dem Vorhandensein von Knappheit gerechtfertigt: Da die Fruchtbarkeit der Arten viel größer ist, als die Ernährungsmöglichkeiten, kommt es zu einem unausgesetzten Kampf, etc. Professor ERNST HORNEFFER von der Universität Giessen hat noch um die Jahrhundertwende auf einer Tagung des deutschen Unternehmertums folgende Sätze zum Besten gegeben:
“Die Gefahr der sozialen Bewegung kann allein dadurch gebrochen werden, daß eine Teilung der Massen stattfindet. Denn der Tisch des Lebens ist auf den letzten Platz besetzt, und darum kann die Wirtschaft ihren Angestellten niemals mehr als die nackte Existenz gewähren. Das ist ein unumstößliches Naturgesetz. Darum ist auch jede Sozialpolitik eine namenlose Dummheit.” 2)
Das Elend der Welt wird aus der Überbevölkerung und die Ausbeutung der Schwachen mit wirtschaftlicher Notwendigkeit gerechtfertigt. Ausbeutung erscheint so als unpolitische Tatsache.
Die klassische Ökonomie behauptet die Wirtschaft folge ganz unabhängig vom menschlichen Willen ihren eigenen Gesetzen. Der Glaube an die Existenz ökonomischer Gesetze, der Bezug auf ein angeblich rein ökonomisches Funktionieren dieser Gesetze, entspricht jener Art von wissenschaftlichem Vorgehen, wie es von GALILEI begründet wurde. So wie die Natur als solche unveränderlichen Gesetzen folgt, so ist auch die Natur des Menschen auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, bzw. Triebe ausgerichtet. Die Geldzirkulation in der Wirtschaft wird z.B. mit dem menschlichen Blutkreislauf verglichen, um seine naturgesetzliche Notwendigkeit zu bekräftigen. Der freie Markt galt als Anwendung der Newtonschen Gleichgewichtsmechanik auf die gesellschaftlichen Vorgänge. Der Mensch hat einen wirtschaftenden Charakter. Das Gewinnstreben ist ein Urtrieb. Die Zivilisation besteht darin, daß sich die Menschen ihre Befriedigung nicht mehr gewaltsam verschaffen, sondern dafür bezahlen.
In der Handelsgesellschaft ist die Bezahlung dem Menschen natürlich geworden. Der homo oeconomicus ist der statistische Typ, der rational nach Lust und Unlust und damit normal handelt. Das Eigeninteresse ist demnach das einzige Motiv menschlichen Handelns. Die klassische Wirtschaftstheorie ist die Theorie von der freien Konkurrenz, von Angebot und Nachfrage, kurz: vom freien Markt. Nur das persönliche Gewinnstreben kann das gesellschaftliche Interesse lenken. Der Markt wirkt als Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage und stellt so eine Harmonie zwischen Produzent und Konsument her. Der ökonomische Liberalismus sieht den Fortschritt der Menschheit in einer automatischen Wechselwirkung von Interessen auf dem freien Markt. Im uneingeschränkten Wettbewerb der allgemeinen Konkurrenz verfolgen die Privatinteressen frei ihre Zwecke.
Der freie Markt gilt als die ideale Verkehrsform. Er soll die organisierende Macht in der Wirtschaftssphäre sein und die individueller Freiheit der Konsumenten garantieren. Die Anzahl der Probleme, die mit Hilfe von politischen Maßnahmen entschieden werden müssen, soll so reduziert werden. Als das Ideal der Koordinierung von Verhaltensweisen regelt der Markt die Beziehungen der Menschen untereinander, ohne daß eine konkrete Autorität vonnöten ist. Der Markt selber sorgt für Ausgleich und Gerechtigkeit. Das berühmte Gesetz von Angebot und Nachfrage soll die Macht dezentralisieren und die Harmonie zwischen Herrschern und Beherrschten etablieren. Durch Konkurrenz soll die übermäßige Bildung und Konzentration wirtschaftlicher Macht verhindert werden. Politische Eingriffe sind eigentlich nur deshalb erforderlich, weil die Menschen nicht die ökonomischen Regeln befolgen.
Den Beteuerungen der meisten “führenden” Nationalökonomen nach hat es die Wirtschaftswissenschaft nur mit dem Sein, nicht mit dem Sollen zu tun. Ökonomische Gesetze ergeben sich aus der Verallgemeinerung einer notwendigen Beziehung zwischen wirtschaftlichen Phänomenen. Alle ökonomischen Gesetze sind aber nur idealtypische Vereinfachungen. Die Lenkung der Wirtschaft ist keine Frage der Anwendung eines theoretischen Modells. Es gibt kein Gleichgewicht in der Realität der konkreten Phänomene. Eine allgemeingültige, notwendige Kausalität des Ökonomischen existiert nicht und deshalb auch kein einheitliches und objektives Wirtschaftssystem. Der Glaube an ein solches ist unbedingt zu verwerfen. Auf die ökonomischen Phänomene läßt sich der Begriff einer linearen Kausalität nicht anwenden.
“Die Jünger des harmonie-ökonomischen Liberalismus leben in der vollkommen weltfremden Vorstellung von gewissen natürlichen Gesetzen, nach denen die Produktionsfaktoren ständig da hinströmen, wo sie am meisten gebraucht werden, nach denen das Kapital den wirtschaftlichsten Verwendungen zustrebt, nach denen jeder bekommt, was er verdient, der Arbeitslohn sich auf sein natürliches Niveau einstellt und überhaupt alles in schönster Ordnung vor sich geht.” 3)
Die Marktphänomene sind abernicht gleichgewichtsbildend. Die freie Marktwirtschaft ist eine abstrakte Konstruktion. Das Gleichgewicht eines sich selbst regelnden freien Marktes existiert nur in der Vorstellung von Verkaufsstrategen als idealtypische Norm. Die Wirtschaft entwickelt sich nicht kraft naturgesetzlichen Charakters. Die machtpolitischen Bestrebungen kleiner Minderheiten spielen wirtschaftlich meist eine größere Rolle, als die angeblich ökonomischen Notwendigkeiten. Das Geflecht der modernen Wirtschaft setzt sich aus einem Netz außerordentlich komplizierter, unterschiedlicher, sich gegenseitig bedingender und durchkreuzender, in naher und ferner Wechselwirkung verbundener Prozesse, Komplexe und Faktoren zusammen.
Um eine ökonomische Erscheinung, die stets unendlich vielgestaltig ist und unzählige Beziehungen hat, zu analysieren, muß sie in ihrer Reinform dargestellt werden und von allen unwesentlichen Merkmalen und Beziehungen gelöst sein. Es kann nur das kalkuliert werden, was vorher auf die eine oder andere Art und Weise quantifiziert worden ist. Mit unverwechselbaren Qualitäten kann nicht gerechnet werden. Die quantitativen Wirtschaftswissenschaftler versuchen deshalb, die Ökonomie möglichst wertfrei zu halten, als ob sich ihre Themen nach unveränderlichen Gesetzen des Universums richteten und nicht die Manifestierungen des gesamten chaotischen, unberechenbaren Verhaltens vieler Menschen wären. Alle ökonomischen Gleichwertigkeiten können nur über künstliche Objektivierungen der Bedürfnisse erreicht werden. Befriedigungen sind aber nicht meßbar. Ein Vergleich und die Addition der Befriedigungen verschiedener Menschen ist sinnlos.
“Es versteht sich von selbst, daß der Umkreis der wirtschaftlichen Erscheinungen ein flüssiger und nicht scharf abzugrenzender ist und daß andererseits natürlich keineswegs etwa die wirtschaftlichen Seiten einer Erscheinung nur wirtschaftlich bedingt oder nur wirtschaftlich wirksam sind.” 4)
Wirtschaftliche Aktivitäten sind gesellschaftlich verzweigt, auf die verschiedensten Aspekte bezogen und bisweilen von den unmöglichsten Faktoren bestimmt. In der heutigen Industrie ist alles voneinander abhängig und alle Produktionsweisen miteinander verflochten, so daß sie mit kausalistischen Modellen der klassischen Ökonomie nicht richtig dargestellt werden können.
“Die allgemeinen Lehrsätze, welche die ökonomische Theorie aufstellt, sind lediglich Konstruktionen, welche Aussagen, welche Konsequenzen das Handeln des einzelnen Menschen in seiner Verschlingung mit dem aller andern erzeugen müßte, wenn jeder einzelne sein Verhalten zur Umwelt ausschließlich nach den Grundsätzen kaufmännischer Buchführung, als in diesem Sinn rational, gestalten würde. Dies ist bekanntlich keineswegs der Fall.” 5)
Die Wirtschaftstheorien schließen, wie alle Theorien, qualitative Unterscheidungen aus; die jedoch für das Verständnis der sozialen Dimension von entscheidender Bedeutung sind. Die Wirtschaft ist so sehr mit dem subjektiven Verhalten verwoben, daß keine einigermaßen zuverläßige Wirtschaftstheorie formuliert werden kann, ohne die Psychologie der Menschen miteinzubeziehen. Bei der Besprechung von persönlichen Motiven begeben wir uns aber immer auf wissenschaftlich unsicheren Boden.
Ökonomische Zusammenhänge existieren innerhalb eines bestimmten Bezugssystems, also bezogen auf subjektive Bedürfnisse. Jeder Wert ist nur eine Relation in Bezug auf subjektiv gesetzte Zwecke. Wert ist immer ein Wert für mich und eine nicht ohne weiteres quantifizierbare und von mir ablösbare Größe. “Der Wert einer Sache kann sehr verschiedenartig sein in Bezug auf das Bedürfnis.” 6) Es gibt keine objektive Nützlichkeit, deshalb kann es auch kein neutrales Wirtschaftsleben geben. Begriffe wie Profit, Produktivität oder Wirtschaftlichkeit etc. haben darum keinerlei Bedeutung, wenn nicht der Bezugsrahmen verdeutlicht wird, in dem sie gelten sollen. (Profit für wen?)
Der grundlegende Begriff des sozialen Wertes ist in jeder wirtschaftlichen Doktrin impliziert. Die Wirtschaftswissenschaften sind deshalb die eindeutig wertabhängigsten und normativsten aller Sozialwissenschaften. Die klassische Nationalökonomie ist nur ein großangelegter Versuch, das soziale Sollen zu kaschieren. Die Ergebnisse der Ökonomen sind von erwünschten politischen Empfehlungen kaum zu unterscheiden.
Die Marktwirtschaft steht und fällt mit den quantitativen Berechnungen. Die Berechenbarkeit des Wollens soll durch die Fiktion rein quantitativer Meßbarkeit von Bedürfnissen erreicht werden. Die quantifizierende Methode verleiht der Wirtschaftswissenschaft dabei den Anschein einer exakten Wissenschaft. Die Fiktion des objektiven Werts und der objektiven Qualität wird geschaffen um der größeren Berechenbarkeit und Verwertbarkeit der Dinge, der besseren Beherrschbarkeit wegen. Immer ist der Zweck des Bestrebens, die Zukunft vorherzusagen. Die Spekulation ist das Gegenstück zur Prognose des Naturwissenschaftlers. Das
“Verhalten anderer kalkulieren zu können, sein eigenes Verhalten an eindeutig geschaffenen Erwartungen orientieren zu können — hier liegt das spezifische Interesse des rationalen kapitalistischen Betriebes an rationalen Ordnungen, deren praktisches Funktionieren er in seinen Chancen ebenso berechnen kann wie das einer Maschine.” 7)
Rechenhaftigkeit ist für MAX WEBER das entscheidende Merkmal des kapitalistischen Geistes Die Rechenhaftigkeit resultiert aus der Anwendung abstrakter Gleichungen. Berechenbar ist nur, was vorher objektiviert wurde.
Das Wertproblem ist Schlüsselposition und Hauptwerkzeug jeder ökonomischen Theorie, die mit einem rationalen Schema arbeitet. Das wird von allen Wirtschaftswissenschaftlern ausnahmslos anerkannt. Der äquivalente Tausch gleicher Größen ist das ökonomische Grundprinzip. Das ökonomisch entscheidende Problem ist die Erklärung dieses Tauschverhältnisses. Damit ein Tausch zustande kommt, muß vom Gebrauchswert abstrahiert werden, so daß ein Tauschwert entsteht. Wert ist das Tauschverhältnis zwischen zwei Waren oder Dienstleistungen. Der Gebrauchswert ist der subjektive, Tauschwert die objektive Variante des Wertinteresses.
Der Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Tauschwert entspricht die von Qualität und Quantität. Als Gebrauchswert sind die Waren von verschiedener Qualität, als Tauschwert sind sie verschiedener Quantität. Zwei qualitativ verschiedene Dinge wie Pornofilme und Dosenöffner können nur gleichgesetzt werden, wenn sie unter Abstraktion von ihrer Verschiedenheit auf ein gemeinsames Drittes reduziert werden. Dieses gemeinsame Dritte ist der Tauschwert.
“Der Kaufmann handelt nicht nur mit Waren, sondern er inventarisiert sie auch, wobei alle Arten von Posten auf die Seiten eines Kontobuches nivelliert werden. Hier werden die verschiedenen Erzeugnisse sozusagen in den gleichen Topf geworfen — Wolle, Wachs, Weihrauch, Kohle, Eisen und Edelsteine -, obwohl sie, abgesehen von ihrem Handelswert, nichts miteinander gemein haben. Um mit den Waren eines Kaufmanns vom Standpunkte seiner Kontobücher aus zu handeln, braucht man sich über ihr Wesen keine Gedanken zu machen. Man braucht nur die Grundsätze der Buchhaltung zu kennen.” 8)
Verwertung braucht Vergleichbarkeit, aber diese Vergleichbarkeit ist eine künstliche, erzwungene. Im Tausch kommt es nur auf die umgerechnete Qualität an, auf eine quantifizierte Qualität, die eigentlich keine Qualität mehr ist.
“Das Qualitative verschwindet hier in der Form des Quantitativen. Indem ich nämlich vom Bedürfnis spreche, ist dieses der Titel, worunter die vielfachsten Dinge sich bringen lassen, und die Gemeinsamkeit derselben macht, daß ich sie alsdann messen kann. Der Fortgang des Gedankens ist hier somit von der spezifischen Qualität der Sache zur Gleichgültigkeit dieser Bestimmtheit, als zur Quantität. Ähnliches kommt in der Mathematik vor.” 9)
Das Gleichheitszeichen bedeutet scheinbare Tauschbarkeit ohne Identitätsverlust. Was wir aber als Wert bezeichnen ist nur sinnvoll, wenn wir uns auf konkrete Bedeutungen beziehen. Wert und Qualität sind im Prinzip austauschbare Begriffe. Es gibt keine quantitativen Werte. Ein Wert hat keine Werteinheiten, so wie Längen Längeneinheiten. Der persönliche Nutzen für einen Menschen ist die Quelle und Ursache eines Werts. Ein solcher kann nicht objektiv gemessen werden. Rechenhaftigkeit zeichnet sich lediglich durch eine pragmatische Nützlichkeit für besondere Zwecke aus. Es bedarf einer Reihe logischer Kunststücke, um Bordellbesuche, Semestergebühren, Arztkosten und Honigmelonen — von den verschiedensten Menschen in den den verschiedensten Lebenssituationen und mit den verschiedensten Wertvorstellungen konsumiert — in Form ihres Wertes zu einem Bruttosozialprodukt aufzuaddieren und dieses als Summe des Wohlstands zu deklarieren. Es gibt keine Objektivität des Vergleichs verschiedenartiger Leistungen und darum keinen Vergleich des Nutzens. Nützlichkeit ist keine Eigenschaft der Güter, sondern eine Qualität, die ihnen von uns beigemessen wird.
Der krämerhafte, quantitative Empirismus, läßt sämtliche inkommensurablen Größen und qualitativen Größen und qualitativen Unterschiede außer acht und reduziert sie auf einen einzigen Koeffizienten: den des Geldes. Geld ist der Repräsentant der arithmetischen Gleichheit. Der abstrakte, allgemeine Wert des Geldes ersetzt die konkrete Nützlichkeit. Im Geld erlischt die besondere Gebrauchsform der Ware. Das Geld wird selbst zu einer allgemeinen Ware. Es ist das allgemeine Maß der Werte und die gesellschaftlich gültige Äquivalentform. Monetäre Größen sind homogen, im Gegensatz zu den nichtmonetären, die eine willkürliche Anhäufung hoffnungslos verschiedener Dinge darstellen.
Wir nehmen monetäre Größen zu Hilfe, weil wir mit einer möglichst geringen Anzahl von Variablen arbeiten wollen. Wirtschaftliche Einflüsse können in Geld ausgedrückt, können gemessen und vergleichbar gemacht werden. Der Universalismus des Geldes macht es möglich, unvereinbar erscheinende Dinge miteinander zu vergleichen. Den Dingen wird ein Preis zugeordnet, um sie austauschbar zu machen. Zu Geld gemachte Produkte erhalten die höchste Zirkulationsfähigkeit.“
Der Generalnenner, auf den sich alles bringen läßt, ist der Preis. Was keinen Preis hat, läßt sich nicht abschätzen, einordnen, vergleichen — welchen Wert hat es dann eigentlich?” 10)
Das Geld, das die Bedeutung aller Bedürfnisse hat, ist die Abstraktion von aller Besonderheit, Geschicklichkeit und Charakter des Einzelnen. Geld ist der große Gleichsetzer.“
Alle Bedürfnisse sind in dies eine zusammengefasst. Das Ding des Bedürfnisses ist zu einem bloß vorgestellten, ungenießbaren geworden.” 11)
Der Objektivität des Geldes entspricht seine allgemeine Gültigkeit. Geld ist ein überaus abstrahiertes Symbolsystem. Geld ist die Logik der Wirtschaft. Geld setzt alles mit allem in Beziehung, kann aber selbst nicht unmittelbar gebraucht werden. Es muß sich erst in spezifische Dinge verwandeln. Geld hat nur fiktiven Wert. Die Vorstellung aber, daß Vergleichbarkeit von Geldgrößen ökonomische Quantitäten objektiv macht, ist falsch.
“Kapitaleigenschaften kommen den Dingen nicht als solchen und unter allen Umständen zu, sondern nur als Funktion, mit der sie je nach den Umständen bekleidet oder nicht bekleidet sind.” 12)
Die Münze ist die Vermittlerin zwischen zwei Werten, sie selbst hat eigentlich keinen Wert. Geld ist ein Tauschmittel, das aufgrund von Übereinkommen verwendet wird. Produkte werden immer Produkten gekauft oder mit Dienstleistungen. Geld ist nur das Medium.
Das Geheimnis des Austauschs wird auch in der Vergleichbarkeit der Arbeit gesucht. Die Arbeitsmengentheorie des Werts bedeutet, daß die aufgewendete Arbeitsmenge die Grundlage des Tauschwerts aller Dinge ist. In jeder Arbeit wird ein abstraktes Allgemeines angenommen, das alle Arbeiten vergleichbar macht. Über die aufgewendete Arbeit sollen die Arbeitsprodukte (Waren) miteinander vergleichbar gemacht werden.
Es werden zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Arbeit definiert: a) das konkret, besondere Tun, das Gebrauchswert schafft und b) die abstrakt, allgemeine Arbeit, die den Tauschwert repräsentiert. Die Vergleichbarkeit der Arbeitsquanten bedeutet die Reduktion aller Arbeitsqualitäten auf abstrakte, allgemeine Arbeit, auf quantitativ bestimmte Arbeit. Denn nur reine Quanten sind völlig kommensurabel. Abstrakte Arbeit ist gleichgültig gegen jeden bestimmten Inhalt. Der Mechanisierung der Arbeit entspricht ihre Abstraktion.
Durch abstrakte Arbeit entsteht gesellschaftliche Allgemeinheit, d.h. ein auf dem Markt austauschbarer Wert. Was auf dem Markt keine Verwendung findet, ist auch nicht gesellschaftlich nützlich. Um aber wirklich allgemein-notwendige Arbeit zu sein, müßten die Arbeitskräfte objektiv, d.h. entsprechend dem jeweiligen Stand der technologischen Rationalität eingesetzt werden, was aber in keinem Betrieb wirklich der Fall ist. Der Sollzustand der Arbeitsleistung unterscheidet sich in den meisten Fällen erheblich von den Istzuständen. Die klassische Wertlehre wollte den Wert einseitig aus den Kosten herleiten, es gibt aber keine Ware, deren Produktion unter allen Umständen die gleiche Arbeitskraft erfordert. Deshalb gibt es auch keinen unveränderlichen Wertmesser zur Messung von Arbeit.
LITERATUR — Laurent Verycken, Formen der Wirklichkeit — Auf den Spuren der Abstraktion, Penzberg, 1994
Anmerkungen:
1) NAPOLEON BONAPARTE in RUDOLF ROCKER, Nationalismus und Kultur, Bremen o.J. Bd.I, Seite 62
2) RUDOLF ROCKER, Nationalismus und Kultur, Bremen o.J., Bd.I, Seite 325
3) JOHN St. MILL in ROBERT PAUL WOLFF, Das Elend des Liberalismus, Frankfurt/Main 1969, Seite 51
4) MAX WEBER, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen, 1988, Seite 162f
5) MAX WEBER, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1988, Seite 395
6) G.W.F. HEGEL, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Ffm 1986, Seite 137
7) Vgl. MAX WEBER, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1988, Seite 473
8) WALTER ONG, Methods and Decay of Dialogue, Cambridge 1958, Seite 170
9) G.W.F. HEGEL, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Ffm 1986, Seite 137
10) HERBERT GRUHL, Ein Planet wird geplündert, Ffm 1980, Seite 195
11) G.W.F. HEGEL in Georg Lukács, Der junge Hegel, Ffm 1973, Bd.2, Seite 522
12) ADAM SMITH, Der Wohlstand der Nationen, München 1978, Seite 228f
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