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11. Wortaberglaube

Diese Knechte an den Ruderbänken der Wortgaleeren sind nur noch den brei­ten Massen gefähr­lich. Ihre Waffen sind stumpf für unse­ren gebil­de­ten Mittelstand. Er hat neue Worte gemünzt: das Recht, die Sitte, die Wohlfahrt, das Glück. Und unsere Minister, unsere Abgeordneten, unsere Journalisten sind die neuen Diener an diesen neuen Worten, sind die künf­ti­gen Pfaffen.”

Der Götzendienst mit Namen wird immer als solcher bezeich­net, wenn es sich um einen Götzendienst alter oder ferner Völker handelt. Denn den eige­nen Götzendienst nennt man Gottesdienst, wie man die eigene Macht Recht und die eigene Brunst Liebe nennt. Es gibt Völker, bei denen es verbo­ten ist, den Namen eines Toten auszu­spre­chen oder auch nur den Namen der leben­dig geblie­be­nen gleich­na­mi­gen Verwandten. Das könnte die Götter belei­di­gen, sagen diese Menschenfresser. Dazu gehört auch die Anschauung mancher Völker, nach der die eheli­che Verbindung mit einem Weibe von glei­chem Namen wie eine Art Blutschande ange­se­hen wird.

Uns sind solche Sitten fremd. Wenn aber ein Attentat auf einen grei­sen Kaiser versucht worden ist, so legen Dutzende von Namensvettern des Mörders den Namen ab, wie bei den Menschenfressern die über­le­ben­den einen neuen Namen anneh­men, um die Gottheit über die Identität zu täuschen. Andere wilde Völker haben Gesetze, die wie das dritte Gebot der Juden den Namen ihres Götzen auszu­spre­chen verbie­ten. Orthodoxe Juden sagen heute noch nicht Jehovah, sondern Schem, das ist “der Name”. Das wundert uns, aber der Bürger eines monar­chi­schen Staats, der seinen Souverän einfach bei seinem Taufnamen oder bei seinem vollen Namen anre­den würde, wagte wahr­schein­lich eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung. Fromme Mohammedaner vermei­den es, auf ein Blatt Papier zu treten, weil der Name ihres Gottes darauf stehen könnte. Fromme Juden und gute christ­li­che Kinder küssen die Bibel, wenn sie zufäl­lig zur Erde gefal­len ist. Und wieder müßten alle Zeitungsleser, um einen Prozeß zu vermei­den, immer genau nach­se­hen, ob ihr Stück Zeitungspapier nicht den Namen des Herrschers enthalte, bevor sie es seiner natür­li­chen Bestimmung zufüh­ren. In Prag wurde vor eini­gen Jahren ein solcher Majestätsbeleidigungsprozeß wirk­lich geführt; wobei aller­dings die klare Absicht der Beleidigung vorlag, weil man ein kaiser­li­ches Reskript, auf weichem Papier gedruckt, zum Kaufe anbot.

Mein oft zitier­ter AGRIPPA der mir auch in seinen kabba­lis­ti­schen Schriften den Schalk mitun­ter zu verra­ten scheint, hat einmal in seiner Geheimen Philosophie (III. Buch, 26. Kap.) einen Hauptgrund des Namensaberglaubens bemerkt:
“Die nach dem Kalkul der Sterne gebil­de­ten Namen (sinn­lose Buchstabenzusammenstellungen) vermö­gen doch, obgleich ihre Bedeutung und ihr Klang unbe­kannt sind, nach den gehei­men Prinzipien der Philosophie mehr bei einem magi­schen Werke, als Namen, die eine Bedeutung haben, indem die über ihre Rätselhaftigkeit verwun­derte Seele zuver­läs­sig etwas Göttliches darun­ter vermu­tet.“
Wir sind erha­ben über Astrologie und Kabbala, und wir sind nicht geneigt, es unter den glei­chen Begriff des Namensaberglaubens zu brin­gen, wenn Millionen Volksgenossen einen Zufallsnamen, den Rufnamen ihres Patrons, ihren Namenspatron, von Einfluß werden lassen auf ihren Lebensgang. Im Katholizismus beschützt der Heilige sein Patenkind. Und mir ist nur ein einzi­ger Fall bekannt, in dem das Patenkind den Heiligen prote­gierte. Der große prak­ti­sche Sprachkritiker NAPOLEON war auf den Namen “Napoleone” getauft worden; der Name stand nicht mehr im Kalender, so daß NAPOLEON BONAPARTE den Tag seines Schutzheiligen nicht kannte. Nachher war der Papst so gefäl­lig, dem Kaiser zu Ehren den heili­gen NAPOLEON in den Kalender zu setzen und sogar auf den 15. August, den Geburtstag des Kaisers. Und der Papst hätte, wenn NAPOLEON Lust dazu gehabt hätte — die Anekdote ist histo­risch beglau­bigt — auch noch einen geist­li­chen Vorfahr der BONAPARTEs heilig gesprochen.

Der weit verbrei­tete Aberglaube, daß der Besitzer eines Bildes durch Stiche und ähnli­che Verletzungen am Bilde dem Original Schaden zufü­gen könne, ist mit dieser Namensfurcht und dieser Unterwerfung unter das Namensbild verwandt. Wir sind über solche Kindereien erha­ben. Aber wir glau­ben auch Schaden zu leiden, wenn der Hauch unse­res Namensklanges in bösen Mäulern schwingt. Wir glau­ben die Gespenster unse­rer Begriffe in ihrem Scheinleben zu erhal­ten, wenn wir ihre Namen konser­vie­ren. Und ist ein solcher Begriffsname trotz aller Vorsicht doch gestor­ben, kann man ihn nicht länger halten, weil er zum Himmel zu stin­ken anfängt, wie z.B. der schöne Name Lebenskraft, dann setzen sich die Bonzen des betref­fen­den Wortkultus zusam­men und geben den Verwandten der Lebenskraft, den ande­ren Seelenkräften, einen neuen Namen, z.B. den hübschen neuen Familiennamen: Vermögen. Und fangen die Vermögen zu verwe­sen an, so werden sie wieder umge­tauft und heißen: Funktionen. So heißen sie augen­blick­lich. Nach hundert Jahren wird der Name Kraft seinen üblen Geruch verlo­ren haben, und man wird die Funktionen wieder Kräfte nennen können.

Diese Abstraktionen erin­nern an den polni­schen Juden, einen moder­nen Mann, dem sein Name MOSES nicht gefiel. Als er in Karlsbad war, wo ihn niemand kannte, stellte er sich darum als Itzig vor. Er hatte sich nicht merk­lich gefördert.

PLATON und andere gute Philosophen des Altertums beru­fen sich oft auf Verse des HOMEROS als wenn der Dichter eine Autorität für die Wirklichkeit wäre. Die Verse sind ihnen nicht schmü­ckende Zitate, auch nicht mora­li­sche Stützen ihres Beweises, sondern wirk­lich etwas wie Lehrsätze. Man ist heute feiner gewor­den. Aber die Worte, die das Volk sich in seiner Not oder in seinem Aberglauben erfun­den hat, werden immer noch so behan­delt, als ob das Dasein eines Worts ein Beweis für die Wirklichkeit dessen wäre, was es bezeichnet.

Wie eine Parodie auf die Entstehung der Sprache mutet uns das Allerweltswort “bedeu­ten an. Von dem ursprüng­li­chen Sinne “durch Hindeutung etwas veran­las­sen”, z.B. einem etwas zu tun bedeu­ten, ist es mit der Zeit eine Bezeichnung gewor­den für alle Fälle, in denen auf etwas ande­res, Fremdes, Ungenaues hinge­deu­tet wird. Durch Metaphern hat sich die Sprache entwi­ckelt, dadurch also, daß ein Wort gele­gent­lich etwas ande­res bedeu­tete, als es bedeu­tete. Jetzt versteht man unter “bedeu­tend”, was von Wichtigkeit ist,; noch GOETHE, der das Wort sehr liebte, versteht unter bedeu­tend etwa so viel wie bezeich­nend, charak­te­ris­tisch. Es wäre gut, das viel mißbrauchte Wort auf Erklärung von Metaphern einzu­schrän­ken; in dem Satze z.B. “sie zählte sieb­zehn Lenze” bedeu­tet Lenze Jahre.

Der mensch­li­che Aberglaube besaß aber an “bedeu­ten” ein vortreff­li­ches Wort für dies Hindeuten eines Zeichens auf ein künf­ti­ges Ereignis oder auf eine verbor­gene Tatsache; und weil er das Wort hatte, so gebrauchte er es. Versteckte sich doch hinter den Naturerscheinungen die Macht von Göttern, welche mit Zeichen und Wundern Künftiges und Verborgenes mitteil­ten, so wie die Priester durch Worte Künftiges und Verborgenes enthüllen.Man fragte also: Was bedeu­tet dieses Erdbeben? Was bedeu­tet diese Mißgeburt? Was bedeu­tet dieser Komet?

Heute ist man furcht­bar aufge­klärt und über­läßt Erdbeben, Mißgeburten und Kometen der Naturforschung. Findet man aber irgendwo im Sprachgebrauche ein alters­schwa­ches Wort, das man nicht mehr versteht, so fragt man mit dem glei­chen Aberglauben: Was bedeu­tet Seele? Was bedeu­tet Vernunft? Was bedeu­tet Stoff? Als die Geologie noch lehrte, Gott habe die Felsen geschaf­fen und die Abdrücke von Pflanzen und Tieren gleich mit hinein­ge­schaf­fen, da fragte man: Was bedeu­ten diese Naturwunder? Jetzt erklärt man die Abdrücke von Pflanzen und Tieren aus der Entstehung der Erde und der Entwicklungsgeschichte der Arten und fragt: Was bedeu­tet Entwicklung?

Die meis­ten Menschen leiden an dieser geis­ti­gen Schwäche, zu glau­ben, weil ein Wort da sei, müsse es auch das Wort für Etwas sein; weil ein Wort da sei, müsse dem Worte etwas Wirkliches entspre­chen. Wie wenn jede Verwitterung in einem Steine der Abdruck einer Pflanze sein müßte! Oder wie wenn zufäl­lig von einem Narren hinge­krit­zelte Linien immer ein auflös­ba­res Rebus sein müßten!

Ja es wird die Sprache allge­mein so gebraucht. Nicht nur gemeine Leute und die — wie man sagt — Halbgebildeten schnap­pen unver­stan­dene neue oder fremde Worte auf, um sie beim Sticken ihrer Geschwätzmuster zier­voll oder geziert anzu­brin­gen, sondern auch Gelehrte und Forscher und Denker haben seit jeher an alten, verwit­ter­ten Wortlauten herum­ge­deu­telt, um ein Rätsel zu lösen, das sie hineinfrag­ten. Man hat einst in den Zeichnungen einzel­ner Blüten wie in den Skeletten von Fischköpfen Rebusse zu finden und zu lösen geglaubt. Das waren aber doch noch halb­be­wußte Spielereien. Man hat urame­ri­ka­ni­sche Zieratlinien mit Hilfe hebräi­scher Charaktere deuten wollen. Das waren Narreteien. Man hat aber von jeher — und man tut es noch — das ange­streng­teste Denken leben­di­ger Menschen, d.h. die Assoziationen ihrer leben­di­gen Erfahrungen, ange­wandt auf längst verklun­gene Wortreste verstor­be­ner Geschlechter, man hat von jeher mit den Säften leben­di­ger Verdauungsorgane die Exkremente der Ahnen zu neuer Nahrung verwan­deln wollen. Und da tut man doch nichts ande­res, als wenn man durch­aus einen Rebus lösen wollte, der gar keiner ist, oder dessen Sprache man nicht versteht. Wie z.B. wenn ganz moderne Forscher immer noch die Seele, den Zweck, den Organismus, das Leben, den Tod, oder aber die Sprache, die Kategorien, die Wurzeln zu defi­nie­ren suchen, bloß weil die Worte vorhan­den sind.

Übrigens muß ein ausge­mach­ter Tor gewe­sen sein, wer das Spielzeug der Rebusse in unsere Unterhaltungsblätter einführte. Schön wäre es frei­lich, mit Tatsachen zu reden anstatt mit Worten, rebus anstatt verbis. Aber der Rebusrater versim­pelt nur die bequeme Buchstabenschrift. Ich glaube im Ernste, daß es Geisteskranke sein müssen, die unsere entsetz­li­chen Rebusse (Scherze ausge­nom­men) verfas­sen; und daß es nur Kinder sind, welche — nach alter Zusammengehörigkeit — sich mit den Werken dieser Narren abgeben.

Noch weit mehr als im gemei­nen Sprachgebrauch wird in den Wissenschaften ein Fetischismus mit Worten getrie­ben; wie denn auch der Theologe, der aus dem Gespenst des Volksaberglaubens ein System baut oder es auch nur weiter trägt, ärge­ren Fetischismus treibt, als der einfa­che Bauer, der bloß an das Gespenst glaubt.

Wie wir nun leich­ter geneigt sind, die Theologen des Mittelalters oder die Theologen der Menschenfresser für Systematiker toten Wissens zu halten, als etwa die gegen­wär­ti­gen Professoren der Theologie, so sehen wir auch deut­lich, daß in der Geschichte der Wissenschaften mit jetzt veral­te­ten Begriffen Schwindel und Götzendienst getrie­ben worden ist, wollen aber nicht leicht dasselbe von den höchs­ten Begriffen der augen­blick­li­chen Wissenschaft anneh­men. Und doch ist die Personifikation oder Deifikation heute dieselbe wie zu alten Zeiten. Die einzel­nen “Kräfte” spie­len heute dieselbe Rolle, wie einst die quali­ta­tes occul­tae. Und wenn die Gelehrten auch, mit der Nase darauf gesto­ßen, den Fehler der Personifikation leug­nen, so denken sie doch, sobald sie sich unbe­ob­ach­tet glau­ben, in dieser kind­li­chen Weise weiter. Für den Arzt sind die einzel­nen Krankheiten persön­li­che Kräfte, trotz VIRCHOW, Personifikationen, die er bekämpft. Für den Naturforscher werden die Arten zu Personifikationen, trotz DARWIN, wenn man es auch nicht zuge­ben will. Noch sicht­ba­rer wird der Fehler da, wo die Selbstwahrnehmung unkon­trol­lier­bar die Grundvorstellungen abgibt. In der Psychologie wimmelt es von Personifikationen. Der mensch­li­chen Seele werden z.B. drei Personifikationen unter­scho­ben: der Verstand, die Vernunft und die Phantasie. Auch sonst freie Köpfe können sich — trotz ihrer eige­nen besse­ren Einsicht, die im Einleitungs- oder im Schlußkapitel oder sonst an einer schick­li­chen Stelle kund gege­ben wird — nicht leicht von dem Bilde frei machen, daß jede dieser Untergottheiten einer bestimm­ten Tätigkeit der Seele vorstehe, wie ein Abteilungsvorstand im Ministerium. Es ist genau derselbe Prozeß, wie etwa die Griechen für die großen Gebiete des Lebens sich beson­dere Schutzgottheiten deifi­zier­ten und wie sie dann für klei­nere Abteilungen Spezialnymphen, wie Dryaden und Oreaden, personifizierten.

Der Begriff eines panthe­is­ti­schen Gottes ist um nichts meta­pho­ri­scher als der Begriff eines mono­the­is­ti­schen oder eines poly­the­is­ti­schen Gottes. So hat im Volksleben der Begriff der Souveränität sich zuerst das Oberhaupt des Stammes, dann den König der Volksgenossenschaft und dann die Gesamtheit des Volkes selbst zum Träger ausge­sucht; die Souveränität war aber doch nur das Bedürfnis aller, sich gegen die Bestialität des einzel­nen zu schüt­zen. Patriarchie, Monarchie und Demokratie (Panarchie) waren verschie­dene Formen des glei­chen Bedürfnisses. Der große Irrtum des Anarchismus besteht darin, daß er die Bestialität der Menschen nicht sieht, daß er das Bedürfnis des Zwangs leug­net, daß er dieses Bedürfnis darum über­wun­den zu haben glaubt, weil er die logi­schen Grundlagen und die Legitimität der einzel­nen Herrschaftsformen erschüt­tert hat. In der ersten moder­nen Demokratie (Panarchie) kam auch der syste­ma­ti­sche Pantheismus auf.

Der Entwicklung des Gottesbegriffs entspricht aber noch mehr die Entwicklung des Seelenbegriffs. Auch in der Psychologie nahm man früher eine substan­ti­elle, eine persön­li­che Seele an; jetzt neigt man dazu, den gesam­ten Organismus als durch­gän­gig beseelt zu verste­hen, ohne daß darum die Seele aufge­hört hätte, eine Personifikation zu sein. Auch der älte­ren Mythologie, deren Vielgötter aus Legenden, Volksetymologien und gewiß oft aus Stammesmythen entstan­den, entspricht ein Zustand der Psychologie, der verschie­de­nen Funktionen verschie­dene Seelen als Stammregenten zuwies.

Wir müssen uns zunächst von eini­gen herge­brach­ten Vorstellungen zu befreien suchen, wenn wir die ganze Bedeutung dieser Anschauung empfin­den wollen, daß die Götter nur Worte seien. Eine aufge­klärte Religionsgeschichte glaubte den Göttern eins zu verset­zen, wenn sie sie mit den Worten verglich, trotz­dem die Religionsgeschichte ihrer­seits wieder rech­ten Wortaberglauben treibt. Sie sagt: Götter sind bloße Worte. Wir aber möch­ten unsere geringe Meinung von dem Werte der mensch­li­chen Worte dadurch recht über­zeu­gend machen, daß wir auch unser­seits die Worte mit den Götzen verglei­chen. Wir sagen: Die Worte sind bloße Götter.

Wir müssen vor allem die über­lie­ferte Vorstellung fallen lassen, als ob ein wesent­li­cher Unterschied bestehe zwischen dem Fetischismus der rohes­ten Negervölker und irgend einer geläu­ter­ten oder meinet­we­gen philo­so­phi­schen Religion. Ein Fetisch ist ein wahr­nehm­ba­res Ding, mit dessen sinn­li­cher Erscheinung sich der Gläubige eine über­na­tür­li­che helfende Kraft verbun­den denkt. Es ist wahr, der Neger schmeist den von ihm selbst aus Holz geschnitz­ten Fetisch fort, wenn er ihm nicht gehol­fen hat. Der katho­li­sche Räuber in Italien prügelt seine holz­ge­schnitzte Madonna nur, wenn ein Anschlag fehl­ge­gan­gen ist, und betet das nächste Mal doch wieder zu dem geprü­gel­ten Bilde. Die Hauptsache ist in beiden Fällen ein Ding, in welchem eine geheime Kraft über­na­tür­lich hilft.

Der Zauber ist Hilfe auf unatür­li­chem Wege. Und diese beiden Begriffe, der des über­na­tür­li­chen Wunders und der der Hilfe in der Not, sind auch noch in der sublims­ten Religionsvorstellung vorhan­den. Man nehme z.B. die Religion, welche als der Neue Glaube von DAVID FRIEDRICH STRAUSS nach der Zertrümmerung des christ­li­chen Dogmas noch übrig bleibt. Er glaubt nicht einmal mehr an den fast unper­sön­li­chen Gott der Deisten und ist damit über den Wortfetischismus von VOLTAIRE hinaus­ge­langt. Er glaubt aber noch, und er selbst nennt es noch schüch­tern Religion, wenn er eine einheit­li­che Weltordnung annimmt. Ein Universum, das fran­zö­sisch Univers (mit großem U) über­setzt werden mußte. Die Vorstellung von einem über­na­tür­li­chen Faktor wäre an sich noch nicht Religion, weil doch auch wir über oder außer den bekann­ten Gruppen von Naturerscheinungen, die wir Naturgesetze zu nennen pfle­gen, etwas Unbekanntes anneh­men müssen, ein Ding-an-sich der Natur.

Zur Religion wird diese über­na­tür­li­che Natur erst dadurch, daß sie dem Gläubigen helfen soll. Helfen aller­dings nicht in der groben Art, wie man in Afrika und Europa den Lokalgott, den Fetisch oder das wunder­tä­tige Bild um Regen, um Heilung und derglei­chen anfleht; helfen soll die subli­mierte Religion des Universums in der intims­ten Seelennot, in dem geis­ti­gen Mangel des Menschen, der sich die Welt nicht erklä­ren kann. Befriedigung schen­ken soll dieser letzte Schimmer von Religion; um Befriedigung, um Frieden wird dieser abstrak­teste Wortfetisch ange­fleht. Erst wenn der Mensch vom Worte eben­so­we­nig will wie vom groben Negerfetisch, erst wenn er inter­es­se­los, d.h. unei­gen­nüt­zig der inter­es­se­lo­sen, d.h. gleich­gül­ti­gen Natur gegen­über­steht, erst wenn er mit SPINOZA ganz resi­gniert der taub­stum­men und fühl­lo­sen Notwendigkeit gegen­über­steht, erst dann hat er den Fetischismus oder die Religion über­wun­den. Wie man sieht, will ich damit nichts gegen die Religion sagen.

Die Abhängigkeit der Mythologie (logos = Wort; erst später Erzählung, noch später erdich­tete Erzählung) hat doch selbst MAX MÜLLER erkannt. Er sagt (Einf. i. d. Religionswissenschaft, deutsch S. 317) sehr gut: “Mythologie im höchs­ten Sinne des Wortes (er meint vorsich­tig: jede Religion) ist die durch die Sprache auf den Gedanken ausge­übte Macht, und zwar in jeder nur mögli­chen Sphäre geis­ti­ger Tätigkeit.” Das klingt sprach­kri­tisch genug. MÜLLER fährt aber fort: “Und ich zögere nicht, die ganze Geschichte der Philosophie … einen unun­ter­bro­che­nen Kampf gegen die Mythologie, einen fort­wäh­ren­den Protest des Gedankens gegen die Sprache zu nennen.” Er sieht, daß Götter Worte sind; er sieht nicht, daß Worte nur Götter sind. Daß auch Philosophie nur Mythologie ist.

Der Vorwurf des Fetischismus, der hier wieder­holt gegen Wortmißbrauch erho­ben wird, ist doch mehr als bloß ein Bild. Es scheint, als ob die Götter genau auf die glei­che Weise entstan­den wären wie Abstraktionen, daß Götter eben auch nichts sind als Abstrakta, wie umge­kehrt Abstrakte, in Wahrheit nichts Wertvolles sind, sondern nur Götter.

Man beob­ach­tete am schein­ba­ren Himmel, wie er bald blau ist und hell, bald fins­ter und regne­risch, man brauchte eine Einheit für die verschie­de­nen Äußerungen des schein­ba­ren Subjekts und nannte sie z.B. Zeus. Der blaute oder donnerte und war ein Gott.

Man beob­ach­tete an den schein­ba­ren Menschenseelen (die selbst wieder im einzel­nen Menschen als ein Gott, als ein Ich, das Ich verschie­de­ner Äußerungen, erfun­den worden waren) ähnli­che Grundstimmungen, Eigenschaften, die den ande­ren nütz­lich dünk­ten: Güte, Tapferkeit oder Zeugungskraft. Man hatte das Bedürfnis der Einheit und nannte das, was sich da angeb­lich bemerk­bar macht: Tugend.

Den Zeus hat die Astronomie exmit­tiert; sie hat ihm seinen Himmel genom­men. So wird die Physiologie den Tugenden ihre Wohnung nehmen, die Seele.

Als die Götter sich mehr­ten und schwer zu behal­ten waren, abstra­hierte man aus ihnen die Gottheit, an die z. B. noch VOLTAIRE und LESSING glaub­ten. Aus den Abstraktis ohne Kult hat man immer leerere Begriffe abstra­hiert, bis man zum ausge­bla­se­nen Abstraktum Sein oder Wesen gelangte.

Als ROBESPIERRE anstatt des abge­schaff­ten obers­ten Gottes das “höchste Wesen” prokla­mierte, tat er eigent­lich gar nichts, als ein dürres Abstraktum mit dem ihm einzig gleich­wer­ti­gen vertau­schen. Und das “höchste Wesen”, so kurze Zeit es auch was galt, fand doch ebenso wie seine Vorgänger seine Pfaffen, seinen Hokuspokus, seine Kleiderkomödien und seine Metzen und Metzeleien.

Und so glaube ich jetzt den Schritt wagen zu können und sagen zu dürfen, wie buch­stäb­lich ich es verstehe, daß unsere Worte bloße Götter sind. Unsere gegen­wär­tige Weltanschauung, unsere Weise, Gott zu erken­nen und zu vereh­ren, d.h.: uns die Welt aus Ursachen zu erklä­ren, ist uns nur darum keine Religion, weil diese Weltanschauung die unsere, die gegen­wär­tige ist. Religion und Wissenschaft müssen, vom Standpunkte unse­rer Kritik aus, darum in einem unüber­brück­ba­ren Gegensatze stehen, weil Religion jedes­mal und für jede Generation nichts ande­res ist, als die eben über­wun­dene Weltanschauung der frühe­ren Generation oder die einer noch älte­ren Zeit. Religion ist die Weltanschauung oder die Sprache, die nicht mehr die Weltanschauung oder die Sprache der jewei­li­gen Gegenwart ist.

Aber man wech­selt Weltanschauungen und Sprachen nicht, wie man ein Hemd wech­selt, oder wie Schlangen sich häuten. Es kommen viel­mehr neue Weltanschauungen und Sprachen über ein Volk, wie die neue Behaarung über ein Tierhärchen weise. Und auch das gibt wieder ein falsches Bild. Denn die neue Weltanschauung oder Sprache kann nur unmerk­lich die Bedeutung und den Laut der älte­ren Weltanschauung oder Sprache umfor­men. Der gesamte Bau unse­rer gegen­wär­ti­gen Weltanschauung oder Sprache besteht aus einem Material, das die veral­tete Weltanschauung oder Sprache war und darum heute Religion gewor­den ist. Wir leben in unse­rer Sprache, wie etwa eine Schule in einer ehema­li­gen Kirche unter­ge­bracht worden ist; trotz aller Anpassung stehen die Bänke vor den Heiligenbildern der Kapelle, blickt das Himmelslicht durch gemalte Fensterscheiben hinein, stört von oben das Bimbambum der Glocke. Da ist nie ein Wort in der neuen Sprache oder Weltanschauung, welches nicht seine unver­wisch­bare Geschichte hätte, welches nicht einen konser­va­ti­ven, einen veral­te­ten, einen reli­giö­sen Sinn hätte. Darum kann nur die Kritik der Sprache uns zu eini­ger Klarheit über unsere eigene Weltanschauung verhel­fen. Ohne Sprachkritik wird es immer möglich sein, aus der Existenz des Namens auf die Existenz des Benannten zu schlie­ßen, so z.B. aus dem Worte deus auf das Dasein Gottes.

Die protes­tan­ti­schen Geistlichen nennen sich mit über­ra­schen­der Selbsterkenntnis Diener am Wort. Sie bilden sich etwas auf die veral­tete Form des Ausdrucks ein. Diener des Wortes wäre ihnen nicht mystisch genug. Und wirk­lich liegt die Wahrheit in der unge­wöhn­li­chen Präposition. Sie können gar nicht Diener des Wortes sein; denn dann müßte hinter dem Worte etwas stecken, was lebt und Herr ist. Sie sind Diener an etwas Leblosem.

Diese Knechte an den Ruderbänken der Wortgaleeren sind nur noch den brei­ten Massen gefähr­lich. Ihre Waffen sind stumpf für unse­ren gebil­de­ten Mittelstand. Er hat neue Worte gemünzt: das Recht, die Sitte, die Wohlfahrt, das Glück. Und unsere Minister, unsere Abgeordneten, unsere Journalisten sind die neuen Diener an diesen neuen Worten, sind die künf­ti­gen Pfaffen.

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